Zum Tode des Dirigenten und Komponisten Prof. Siegfried Köhler
Wir haben uns immer gesiezt. Es war ein Zeichen unserer gegenseitigen Wertschätzung, unserer kollegialen Verbundenheit, auch unserer gemeinsamen Arbeit und unseres großen Altersunterschieds wegen. Ich war und bin eine sehr gute Freundin seines einzigen Sohnes Klaus-Dieter. Er hätte mein Vater sein können, mein Großvater, mein Mentor, mein Lehrer, mein Chef. Er war ein kleines Bisschen von alledem. Mehr als fünfunddreißig Jahre lang kannten wir uns, tauschten wir uns aus über Musik, das Theater, die Literatur, über Eindrücke von Inszenierungen, Reisen und Lektüre und unsere vielfältigen Erfahrungen mit alledem. Er wurde für mich ein Vorbild an Arbeitswut, Humor und Menschlichkeit, nicht nachlassender Neugierde an der Welt, der Kunst, den Menschen, stets kritisch und beinahe immer optimistisch. Ich wurde seine Biografin, blieb einerseits fremd, von außen, und andererseits vertraut, irgendwie gehörte ich zur Familie. Wir arbeiteten wohl an die zwanzig Jahre zusammen, an seiner Autobiografie – Alles Capriolen, ein Jahrhundert im Musiktheater – ein ganzes Jahrzehnt lang, danach an einigen Libretti zu seinen Kompositionen, unter anderem seiner großen und vielleicht überhaupt der letzten Operette – Old Germany – ein Lebenswerk, dessen Uraufführung er nicht mehr erleben wird.
Man muss für sich selbst die Werbetrommel rühren, das tut sonst niemand, sagte er oft und unermüdlich. Bis zuletzt war ihm der Umgang mit Menschen unerlässlich, sie beflügelten ihn, regten auch in seinem hohen Alter noch seinen Humor an, forderten seinen Widerspruch heraus. „Wird kommen über Nacht“ war ein memento mori, das ihm ein vor ihm gegangener enger Freund hinterließ. Er zitierte den Satz oft, mit nachdenklichem Respekt und wissendem Nicken um die Endlichkeit unseres Lebens. Am Ende war er allein auf dem Gipfel eines Berges, er benutzte dieses Bild, um seinen Zustand zu beschreiben. Er hatte alle treuen Weggefährten überlebt, auch seine Frau, obwohl bis ganz zuletzt seine Familie und viele Freunde um ihn waren. Noch vor wenigen Wochen haben wir seinen 94. Geburtstag bei Kaffee und Kuchen gefeiert. Heute starb er gegen Morgen, das memento mori hat sich erfüllt. „Auf zu neuen Thaten, theurer Helde“ gehörte zu den Wahlsprüchen seines reichhaltigen und geglückten Lebens. Möge die Musik, die er zuletzt nicht mehr hörte, ihn dort, wohin er ging, begleiten. Die Welt ist um einen Schelm ärmer geworden. Er wird mir fehlen.